Neulich wurden wir morgens Zeuge, wie Familie Meise ihre Kleinen in die weite Welt hinausschickte. Wir sahen die aufgeregten Meiseneltern und merkten gleich, da ist wahrhaftig was im Busch. Eins, zwei, drei, vier und fünf. Zack, da waren sie aus dem Häuschen. Und wir erst! Ein Vögelchen flog ganz zielstrebig los, ein anderes flatterte noch etwas unbeholfen auf den nächsten Ast. Die Eltern flogen ebenso hektisch drumherum.
Was für ein spannender und zugleich rührseliger Augenblick! Versuchte ich doch gleich kurz, mich in das kleine Meisenmutterherz zu versetzen. Ach was, es sind Vögel, und es liegt in der Natur der Sache: Zwei Meisen finden sich, bauen ein Nest (Und was für ein schönes, mit pinkem Filz!), legen Eier, brüten fleißig und schaffen dann knappe drei Wochen eifrig Futter an, die Kleinen werden flügge und verweilen aber für weitere 14 Tage in der Nähe der Eltern. In der Zeit lernen die Minimeisen die Welt außerhalb ihres vertrauten Nestes kennen. Die Eltern haben zunächst noch ein wachsames Auge auf ihre Schützlinge und verteidigen sie unter Einsatz ihres Lebens gegen den hungrigen Eichelhäher. Wir haben es selbst erlebt und konnten nichts ausrichten. Leider war der Raubvogel schließlich stärker und die Meisenfamilie um ein Mitglied ärmer. Schnief!
Zum Glück hält die menschliche Ästlingsdauer etwas länger an. Wie lange aber? Achtzehn Jahre? 20 Jahre? Mein Mutterherz kann sich also etwas langsamer daran gewöhnen, dass unsere drei ihre Flügel ausbreiten. Schon längst flattern sie munter und mehr oder weniger selbstständig umher. Wie selbstverständlich und auch voller Stolz erweitern sie stetig ihren Radius. Der eine butschert mit ´nem Euro in der Tasche und einem Freund an seiner Seite zum Kiosk und freut sich über eine bunte Tüte.
Die andere kümmert sich mit Hingabe um Kulinarisches. Hilfe wird strikt abgelehnt, Ratschläge nur manchmal angenommen.
Während das größte Mädchen gerne schon kleine Besorgungen in der Stadt macht und sich demnächst alleine beim Friseur einen neuen Schnitt verpassen lässt.
Sie organisieren sich, verabreden sich, sie machen eigene Pläne, auch ohne uns Eltern. Neulich erst, voller Vorfreude kam ich mit leckeren Abendbrotideen und einer schönen Sommerlektüre für einen lauschigen Verandavorleseabend um die Ecke, und musste feststellen, dass zwei von drei Vögelchen ausgeflogen sind!
Ahhh! Was dann? Ich habe gelernt, nicht traurig oder enttäuscht zu sein. Sie wollen losfliegen, und ich lerne, loszulassen. Ich fege derweil das Nest aus, richte es her, kümmere mich um mich und mein Gefieder. Mit all diesen Gedanken hat Mutter Meise wohl keine Last. Ihre und die Bedürfnisse der Brut sind etwas übersichtlicher.
Nicht immer sind eben meine Vorhaben die ihrigen. Und nicht selten kommt es so auch zu besonders schönen Konstellationen. Ich kann und muss nicht alle fünf unter einen Hut bekommen hier. Zu fünft, das ist schön, aber mal zu zweit, zu dritt oder zu viert ist auch schön! Für uns und auch für die Geschwister! Nur mal das ganz schön große Mädchen für uns zu haben an dem besagten lauschigen Abend, ein verlängertes Wochenende allein mit dem gar nicht mehr so kleinen Mann und einfach mal ohne die große Schwester mit Mama und Papa eine Limo trinken gehen. Momente, wie diese!
Kurze Zeit später übrigens zwitscherte es im Häuschen nebenan schon wieder. Wieder würden die Vogelmamas mit lässiger Aufgeregtheit der Natur ihren freien Lauf lassen, und ich werde sie mir immer wieder ein bisschen zum Vorbild nehmen, aber nur ein ganz klein bisschen und mich solange wie möglich noch daran freuen, dass sich meine drei Piepmätze auf dem heimischen Ast niederlassen.
Goldi